Heiterer Kundenreisebericht
Eine Kreuzfahrt ist das Richtige für Senioren
Eine Kreuzfahrt sei das richtige für Senioren, hat man uns gesagt. Bequemer könne man es nicht haben. Man könne von der Haustüre abgeholt und zum Schiff gebracht werden. Um das Gepäck brauche man sich überhaupt nicht zu kümmern, das stehe, wenn es gebraucht würde, vor der Kabine. Man erzählte uns sogar, das manche, etwas wohlhabendere Senioren statt in ein Altersheim sich auf ein Schiff begeben und dort ihre alten Tage verbringen würden. Dann solle die Verpflegung dort hervorragend sein, es gäbe weiterbildende Vorträge und gepflegte sonstige Unterhaltung. Sogar Fernsehen sollte es geben. Von sanften Wellen würde man in den Schlummer gewiegt. Keine Aufregung! Ein Arzt sei auch immer an Bord. Und was man alles zu sehen bekäme. Also haben wir uns zu einer Kreuzfahrt entschlossen.
Mit der MS HAMBURG sollte es die Kreuzfahrt "Geheimnisvolles Großbritannien" sein, eine Tour, die uns vieles Neue bringen sollte. Von Hamburg aus über London, durch den Ärmel-Kanal um England herum nach Irland mit Dublin, durch die irische See, auf und über die Hebriden und auf der anderen, auf der West-Seite, Aberdeen in Schottland. Von dort wieder über die Nordsee nach Hamburg.
Von Frankfurt aus gibt es eine direkte ICE Verbindung nach Hamburg. Wir nahmen deshalb den Service, von der Haustüre abgeholt zu werden, nicht in Anspruch. Das Gepäck wurde aber vorweg geschickt, sodass wir nur mit einem kleinen Rucksack auf die Reise zu gehen brauchten.
Ja, was packt man in den Koffer, der fünf Tage vorher schon abgeschickt werden musste. Da musste man gründlich planen. Die Kleidung sollte leger und bequem sein. Für die Ausflüge vernünftiges Schuhwerk. Zum Kapitänsdinner erwarte man allerdings eine "angemessene" Kleidung.
Das Kapitänsdinner ist der gastronomische und kulinarische Höhepunkt einer Kreuzfahrt. Der Kapitän ist persönlich anwesend und drückt jedem Passagier die Hand. Zum Schluss kommen dann die Köche herein und tragen auf einer Hand eine Eistorte, auf der Wunder-Kerzen brennen. Dazu wird gesungen und in die Hände geklatscht.
Also, für das Kapitänsdinner ist angemessene Kleidung erwünscht. Dazu gehört, wie man mir sagte, ein Dinnerjacket. Lege ich mir jetzt auf meine alten Tage nun noch ein Dinnerjacket zu? Ja. Bei C&A fand ich ein solches sogar in einem Sonderangebot. Wenn diese Jacken jetzt schon im Sonderangebot angeboten werden, sind sie offensichtlich gar nicht mehr so "in". Für nicht mal 30 Euro konnte ich dieses wichtige Kleidungsstück erwerben. Das war auch noch drin in der Reisekasse.
Wir hatten gerade dem freundlichen jungen Mann, der das Gepäck zum Schiff nach Hamburg weiterleiten sollte, die Koffer übergeben, als von dem Reisebüro die Nachricht kam, das Schiff fährt nicht von Hamburg sondern von Bremerhaven ab. Unsere Schockstarre - wir hatten doch auch schon die Fahrkarten nach Hamburg gelöst und wegen des Bahnstreiks sogar für einen Tag früher - dauerte aber höchsten eine halbe Stunde. Denn es kam später die beruhigende Nachricht, das Gepäck werde selbstverständlich nach Bremerhaven umgeleitet und die Passagiere würden auch mit einem Bus von Hamburg nach Bremerhaven gebracht. Das wurden wir dann tatsächlich auch.
Die Ausfahrt am Abend aus dem Hafen von Bremerhaven ist natürlich nur ein billiger Ersatz für die Ausfahrt einer MS HAMBURG aus dem Hamburger Hafen, wo uns Schlepper begleitet hätten, die wahrscheinlich Fontänen gesprüht und mit Hupsignalen immer wieder auf uns aufmerksam gemacht hätten.
Der erste Tag ist "Erholung auf See", so steht es im Prospekt. Am Nachmittag gab es, wie auch an allen anderen Tagen, einen sehr informativen Vortrag über London und am Abend nach dem Essen gute, ja meisterhafte Unterhaltung. Das Abendessen war vorzüglich gewesen, wie auch alles, was mit der Restauration zu tun hatte, während der ganzen Reise hervorragend war. Wir hatten also die richtige Wahl getroffen. Man hatte uns wirklich nicht zu viel versprochen. Das bisschen Aufregung vor der Abfahrt war auch schon vergessen. Mit der Gesellschaft am Tisch hatten wir auch Glück. Wie es schien und sich gleich herausstellte, waren es eigentlich ganz nette Menschen, mit denen wir da zusammen sitzen durften oder mussten.
Am späten Abend sollten wir in die Themse einfahren und am frühen Morgen die Tower-Bridge erreichen. Nur wenigen Schiffen ist diese Einfahrt vergönnt. Diese Einfahrt soll wirklich ein Event sein. Hier muss man einmal dieses bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verwendete Wort gebrauchen.
Beim Einbruch der Dunkelheit gab es dann so ein etwas eigenartiges Geräusch. Das hörte sich so an, wie wenn ein entgleister Zug statt über die Schienen über die Schwellen fährt und man hatte auch das unangenehme Gefühl, in diesem Zug zu sitzen. Es dauerte aber nur kurze Zeit und dann kam schon von der Brücke die beruhigende Nachricht, dass es keinen Grund zur Besorgnis gäbe. So eine Kreuzfahrt ist doch niemals aufregend.
In der Nacht sagte dann die beste aller Ehefrauen, das Meer ist noch so unruhig, sag mal, hat der Kapitän die Einfahrt in die Themse verpasst? Diese Frage wurde bald von dem Schreiben beantwortet, das wir um Mitternacht unter der Tür fanden: Ein Fischernetz hätte sich in einer der beiden Schrauben verfangen und um die Schraube davon zu befreien, müsse man jetzt einen Hafen aufsuchen, in dem es Taucher gäbe und die gäbe es nicht in London. Wir würden jetzt Southampton ansteuern.
Bekam man da nicht so ein mulmiges Gefühl, als wir das hörten, nicht wegen des Fischernetzes in der Schraube, das ist eine Lapalie. Ist da nicht die Titanic aus diesem Hafen ausgelaufen? Aber das sind doch schon hundert Jahre her. Aber wurden wir nicht erst gerade daran erinnert? Auch andere Ereignisse aus dem Kreuzfahrt-geschehen tauchten plötzlich da auf.
Themse, Towerbridge, London ade. Aber nicht ganz, man konnte jetzt mit Bussen dahin gebracht werden, zwei Stunden hin, zwei Stunden zurück. Die gebuchten Ausflüge wurden von Southampton aus durchgeführt oder neu konzipiert. Erstaunlich, wie schnell die Reiseleitung diese Umänderungen geplant und verwirklicht hatte.
Bei unserm jetzt gebuchten Ausflug wurden dann auch die Geleise überquert, auf denen der berühmte Zug der Agatha Christie um 16.50 ab Paddington abgefahren ist. Auch kamen wir an dem Wohnort der berühmten Schriftstellerin Rosamunde Pilcher vorbei. Die Landschaft sieht genauso aus, wie sie sie in ihren Romanen beschrieben hat, bis zu einem gewissen Grade vergleichbar mit unserm Hintertaunus und der Wetterau, vielleicht etwas schöner.
In Southampton wurde dann tatsächlich ein Fischernetz in einer Schraube gefunden. Einen Teil davon konnte auf dem Oberdeck bewundert werden, es war ziemlich groß. Von Southampton aus wurde die Reise dann planmäßig zum nächsten Hafen fortgesetzt, von dem es jetzt mit Bussen an das Ende von England ging. Hier regnet es üblicherweise fast immer, wir hatten aber Glück, an dem Tag hatte es nur Nebelnässe.
Von dem nächsten Hafen an der Südküste Irlands aus gab es eine Bustour an der spektakulären Süd-Küste entlang mit einer Einkehr in einem Pub mit einem Glas Guiness. Guiness muss man unbedingt getrunken haben, wenn man in Irland war. In dem Pub wurde dann auch viel gesungen und irische Musik gemacht.
In Dublin war eine Führung u.a. in der berühmten Kirche, in der Swift jahrelang gewirkt und vor allem auf die Not der Bevölkerung hingewiesen hatte. Die uns vor der Weiterfahrt noch zur Verfügung stehende freie Zeit haben wir beide dann für einen zweiten Besuch in einem Pub genutzt. Auf unsere Bitte für ein Guiness sagte der junge Mann, der uns bediente: "four and half minute, please". Das sollte heißen, in viereinhalb Minuten ist es zwölf und dann gibt es Bier.
Von Dublin hinaus in die berüchtigte Irische See, früher berüchtigt wegen der Seeräuber, Wikinger usw., heute wegen der hohen Wellen. Wir haben das zunächst aber gut überstanden. Kurz vor den Inneren Hebriden näherte sich von steuerbord ein rotes und von backbord ein altes Schiff. Der Kapitän wollte wohl einen Zusammenstoß vermeiden und steuerte wahrscheinlich etwas nach backbord. Wir haben das dumpfe Geräusch nicht gehört. Es soll es aber gegeben haben.
Die Fahrt ging von da an etwas langsamer fort, das Schiff dümpelte so einfach dahin. Wir bekamen jetzt die Nachricht, dass wir noch nicht in die ruhigere Bucht fahren könnten, wo wir dort auf ein kleineres Schiff umsteigen sollten.
Bei den Hebriden gibt es keinen Hafen, wo ein größeres Schiff anlegen kann. Hier muss man tendern, das heißt auf ein kleineres Boot, das Tenderboot, umsteigen. Man hat uns ganz ausführlich gezeigt, wie man das machen soll. Man steigt die Gangway hinunter, wartet auf der Plattform unten bis das Tenderboot von den Wellen auf die gleiche.
Im Geiste hat man das jetzt ein paar Mal durchgespielt und für unser Alter zumutbar und auch machbar gehalten. Eine Kreuzfahrt ist ja etwas für Senioren.
Die nächste Botschaft von der Brücke war, die See ist zu rau, wir könnten das Schiff nicht verlassen, also nicht auf ein Tenderboot umsteigen. Das wäre zu gefährlich. Die Sicherheit habe hier Vorrang. Der Besuch der Inneren Hebriden müsse leider entfallen. Man hatte Verständnis dafür. Nun ja, wir fahren ja noch zu den Äußeren Hebriden, die weiter nördlich liegen und die dürften ähnlich sein.
Einmal wandte ich mich an die beste aller Ehefrauen mit folgenden Fragen: Fahren wir nach Süden? Guck mal wo die Sonne steht! Müssten wir nicht nach Norden fahren? Bald wurden diese Fragen von der Brücke beantwortet: Es ist ein Schaden an einer Schraube entstanden. Wir fahren jetzt (schon wieder!) nur mit einer Schraube. Mit einer Schraube können wir die Fahrt zu den Äußeren Hebriden nicht fortsetzen. Wir müssen den nächsten Hafen aufsuchen, und der ist in Belfast.
Allmählich macht man sich jetzt da schon so seine Gedanken. An Belfast sind wir doch am Tag vorher vorbei gefahren und das liegt im Süden.
Inzwischen war der Wind immer stärker geworden und entwickelte sich zu einem richtigen Sturm. Mit nur einer Schraube war das Schiff auch der Wucht der Wellen stärker ausgeliefert. Die Parole war jetzt: Mindestens eine Hand gehört dem Schiff. Was nicht direkt mit dem Schiff verbunden war, geriet in Bewegung. Abendessen wurde nicht mehr im "Palmengarten" sondern nur noch im Speisesaal serviert. Hier stand ein großer Teil der Mannschaft bereit, der den Passagieren zu Hilfe ging, wenn es not tat, so zum Beispiel, die Stühle festzuhalten oder ältere Passagiere aus dem Speisesaal zu führen. Einer unserer Tischgenossen drohte umzustürzen und hielt sich eher am Tischtuch als am Tisch fest. Bevor es aber zu einer kleineren Katastrophe kam - es war gerade Suppe serviert worden -, wurde er von unserm Saxophonisten, einem sehr sympathischen Menschen, aufgefangen. Der konnte sich nachher für ein Bier bedanken.
Die Wellen hatten inzwischen eine Höhe von etwa 7 Metern erreicht.
Es war bewundernswert, wie die Bedienung es in diesem Chaos fertig brachte, Essen und Getränke auf den Tisch zu stellen. Da ging wieder ein Stoß Teller zu Boden und zu Bruch. War der Aufschrei von einigen weiblichen Passagieren ein Ausdruck der Heiterkeit oder ein Ausdruck des Schreckens? Waren wir in einem Lustfilm und wir die Mitspieler ohne Gage? Mit einer Hand wurde das Glas auf dem Tisch gehalten, mit der anderen versuchte man, mit der Gabel das Essen in den Mund zu bringen. Verständlicher-weise war der Speisesaal etwas lückenhafter als sonst besetzt, viele haben es vorgezogen, auf das Essen zu verzichten und sind in ihren Kabinen geblieben.
Wie hat doch der Boy zu dem Kapitän gesagt: Soll ich ihnen das Essen servieren oder soll ich es gleich ins Meer kippen?
Auf den Gängen und in den Kabinen waren überall Plastiktüten zu finden, so wie man sie von den sogenannten Dog-Stationen her kennt. Wir selbst haben sie nie gebraucht. Die Aufzüge wurden gestoppt; Bar, Weinstand, Tanzsalon, Lounge usw. geschlossen. Durchsage: "Bitte die Kabinen aufsuchen und alles Bewegliche in Sicherheit bringen." Als erstes kam mir in unserer Kabine mein Bett entgegen; es war aber leicht zurück zu schieben. Es wiederholte sich allerdings noch mehrmals in der Nacht. Im Geschirrschrank habe ich unter und zwischen die Gläser meine Strümpfe gestopft, um das nervige Geklirre zu vermeiden. Die Schranktüren mit Magnetverschluss öffneten sich selbständig und schlossen sich auch wieder mit einem Höllenspektakel. Die beste aller Ehefrauen verbrachte die Nacht in einem Sessel, wobei sie die Beine gegen den Kühlschrank stemmte. In dieser Stellung konnte man gut überleben. Ich zog es allerdings vor, mich ins Bett zu legen, wobei sich die Bauchlage mit ausgebreiteten Armen als die beste Lage erwies; aus dem Bett zu fallen war dann etwas schwieriger. Irgendwann nach Mitternacht ließ dann der Sturm etwas nach und wir konnten dem Morgen ruhiger entgegensehen oder besser entgegen wachen.
Es wurde Abend, bis wir Belfast erreichten. Mittags hatte die Reiseleitung schon bekanntgegeben, die Kreuzfahrt müsse in Belfast abgebrochen werden. Am anderen Morgen stünden um 6.00 Uhr Busse bereit, die uns zum Flughafen für den Heimflug nach Hamburg bringen sollten. Eine gewisse Entspannung macht sich bemerkbar, zumal das Schiff jetzt auch nicht mehr schwankte.
Dann ging alles auf einmal sehr schnell. Die Koffer mussten schon in der Nacht auf den Gang gestellt werden. Kaffee und etwas zum Essen gab es schon ab 5.00 Uhr. Acht Busse standen am Hafen bereit. Zwei Flugzeuge hatte man gechartert, um die rund 400 Passagiere nach Hamburg zu bringen.
Vom Hamburger Flughafen ging es mit einem Taxi zum Bahnhof und mit dem nächsten ICE nach Frankfurt.
Wir hätten am liebsten die Erde geküsst, als wir in Eschborn in der Taunusstraße ankamen und bei unserm Sohn mit einem Glas Sekt auf meinen Geburtstag anstießen, den ich ja eigentlich auf dem Schiff groß feiern wollte. Am Pfingstsonntag haben wir dann in St. Nikolaus im Hochamt ein Dankgebet zum Himmel geschickt.
Wie gesagt, so eine Kreuzfahrt ist etwas für Senioren, - die noch etwas erleben und nicht zuhause auf dem Sofa sitzen wollen.
Das Dinnerjacket wartet immer noch auf seinen Einsatz.
Heribert Ambré
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Andrea Stubner
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